Systemsprenger*innen – schwierige Kinder und Jugendliche verstehen Internationale Fachtagung im Jugenddorf Petrus Damian

(Warburg) Zum zweiten Mal trafen sich Fachkräfte aus Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu einer Fachtagung zum Umgang mit sogenannten „Systemsprenger*innen“ im Jugenddorf Petrus Damian.

Im Vordergrund stand die Frage, wie die Mitarbeiter*innen in Heimeinrichtungen, in Jugendämtern und bei familienunterstützenden Diensten die Kinder und Jugendlichen mit ihren zum Teil extrem herausfordernden Verhaltensweisen besser verstehen und ebenso helfen können.

Die sogenannte „sozialpädagogische Diagnostik“  bietet dabei  einen neuen Ansatz. Hinter den „sozialpädagogischen Diagnosen für Kinder und Jugendliche“ und den „sozialpädagogischen Familiendiagnosen“ verbirgt sich eine Methode, die die Lebensthemen von Kindern und Jugendlichen oder von Familien erfahrbar macht.

Eine in dieser Methode ausgebildete Fachkraft führt durch die Diagnose. Mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens für Kinder und Jugendliche sowie für Erwachsene werden Interviews geführt. Die Auswertung erfolgt nach festgelegten Standards. Die Sichtweisen der Befragten, ihre Wünsche, ihre Verletzungen und ihre aktuellen Lebensthemen stehen dabei im Vordergrund. Aus diesen Ergebnissen werden im folgenden Schritt gemeinsam Ziele und Handlungsleitlinien für die weiteren Hilfemaßnahmen entwickelt. „Wichtig ist es uns dabei, dass nicht Außenstehende sagen, was los ist und zu tun ist, sondern, dass Kinder und Jugendliche, bzw. die Erwachsenen ihre Lebens- und Konfliktthemen erkennen und selber für sich Schritte entwickeln, um diese zu bearbeiten.“, so Nicole Evers, Pädagogische Leiterin im Jugenddorf Petrus Damian.

Durch Möglichkeiten der Videoübertragung konnten bei der Tagung auch in diesem Jahr wieder Fachkräfte aus Kärnten teilnehmen. In Österreich wird mit der beschriebenen Methode bereits intensiv gearbeitet. Auch in der sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist der internationale Austausch über wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen zunehmend von Bedeutung.

An der Tagung mit dem Titel „‘Systemsprenger‘ verstehen  – professionelle Vernetzung – Praxisaustausch“ nahmen neben den österreichischen Fachkräften aus Wien und Kärten Sozialpädagog*innen aus verschiedenen Regionen Deutschlands (Dresden, Aachen, Berlin, Strausberg, Aachen, Bensheim, Frankfurt/Main und Hagen) teil. Das Jugenddorf Petrus Damian war mit Kolleginnen aus den Bereichen Inobhutnahme, Mutter-Vater-Kind-Gruppe und dem Traumapädagogischen Zentrum vertreten, die Wissenschaft durch Prof. Dr. Nicole Rosenbauer aus Dresden.

Elmar Schäfer, der Leiter des Jugenddorfes, betonte bei seiner Begrüßung: „Wir sind gerne wieder Gastgeber für die Tagung, da wir im Jugenddorf sehen, wie die Anzahl der sogenannten Systemsprenger*innen“ deutlich zunimmt. Als Jugendhilfeeinrichtung greifen wir diese Thematik seit Jahren auf und werden unsere Angebote erweitern.“

Fachlich vorbereitet und moderiert wurde die Tagung von Stephan Cinkl aus Brandenburg, der die Sozialpädagogischen Diagnosen und Sozialpädagogischen Familiendiagnosen maßgeblich mitentwickelt und beforscht und dazu auch einschlägig publiziert hat, sowie mit dem Jugenddorf als Fortbildner und Berater schon länger zusammenarbeitet.

Im ersten Beitrag in Form eines Erfahrungsberichtes schilderten Stefanie Husemann und Nicole Evers als Leitungskräfte im Bereich der Inobhutnahme des Jugenddorfes Erfahrungen einer teilnehmenden Beobachtung und Beratung durch Stephan Cinkl in der Arbeit einer Wohngruppe. Die Sicht des externen Beraters führte zu Auseinandersetzung und ebenso zu produktiven Veränderungen. In der Diskussion wurde der Mut hervorgehoben, sich von außen kritisch „in die Karten schauen zu lassen.“

Werner Mayer aus Wien berichtete auf charmante österreichische Art von einem Beratungs- und Clearingprozess zu zwei „Systemsprengern“ in einem SOS-Kinderdorf im Burgenland, wobei deutlich wurde, dass neben der Sozialpädagogischen Diagnostik, die Unterstützung der betreuenden Teams besonders wichtig ist.

Durchaus auch selbstkritische Darstellung und Diskussion von drei Fallbeispielen zu „Systemsprengerinnen“ aus Pforzheim, Rostock und Dresden schlossen sich an, wobei besonders die ausgefeilte sozialpädagogische Diagnostik von Manfred Vogel von der Kindervereinigung Dresden e.V. beeindruckte.

Zum Abschluss der Tagung wurde beschlossen, eine „Fachgesellschaft Sozialpädagogische Diagnosen – Sozialpädagogische Familiendiagnosen“  zu gründen, um beide Verfahren weiter zu etablieren, erreichte Qualitätsstandards zu sichern und Praxis- und Forschungsprojekte zu initiieren.

Die Tagungsteilnehmer*Innen betonten in der Rückmeldung, wie wichtig der direkte und persönliche Austausch ist. Alle hoffen, dass im kommenden Jahr die Tagung wieder vollständig analog im Jugenddorf in Warburg stattfinden kann.